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Gesundheitsreformen unter Kohl 1982-1998

Seit etwa 30 Jahren bemüht sich die Politik der Parteien CDU CSU FDP SPD GRÜNE in wechselnden Koalitionen der Regierungen Kohl, Schröder, Merkel darum, die Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zu senken. Das bedeutet in erster Linie: Die Beiträge, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber an die Krankenkassen zahlen, sollen so niedrig wie möglich sein, um die Lohnnebenkosten der Unternehmen zu begrenzen. Diese Aufgabe haben sich die Parteien auch für die nächsten Jahre gestellt.
Vorrangig für die Gesundheit der Versicherten sind aber nicht niedrige Beiträge sondern ausreichende Gesundheitsleistungen, die in einer solidarischen Versicherung für den Einzelnen am ehesten finanzierbar bleiben, auch wenn sich die Versicherungsbeiträge erhöhen.
Diese rigorose Sicherung der "Beitragssatzstabilität" im vorrangigen Interesse der Unternehmen den Arbeitgeberanteil niedrig zu halten, hat bis zu den jüngsten Reformen Priorität. Sie gipfelt in den derzeitigen Bemühungen der Regierung Merkel mit Einführung der 
"Kopfpauschale" (CDU: Gesundheitsprämie) die gesetzliche Krankenversicherung entscheidend zu demontieren.

Den Auftakt gesetzgeberischer Eingriffe machte 1977 das
Krankenversicherungs- Kostendämpfungsgesetz.. Ergebnis eines Kompromisses zwischen der sozial-liberalen Regierung und der Opposition von CDU/CSU, die damals die Mehrheit im Bundesrat stellte. Ziel war die so genannte Beitragssatzstabilität. Dazu wurden - wie auch in fast allen  nachfolgenden GKV-Reformgesetzen vorrangig Leistungen der Kassen gekürzt, die Zuzahlungen der Patienten erhöht.

Mit Einführung der "Zuzahlungen" und "Eigenleistungen" wurde erstmals das Prinzip der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung - ein Grundpfeiler des demokratischen Sozialstaats - gebrochen. An diesen Kosten, die zusätzlich zu den Versichertenbeiträgen erhoben werden, sind Arbeitgeber nicht beteiligt. 
Schon gar nicht ist nachvollziehbar, dass gerade bei teueren zahnärztlichen Behandlungen ein hohes Kostenrisiko aufrecht erhalten wird. Die für den Einzelnen günstigste Finanzierung durch das Versicherungsprinzip wird aufgrund der hohen Eigenbeteiligung bei zahnärztlichen Behandlungen zu nichte gemacht. Eigenverantwortung und Kostenverantwortung lässt sich durch ausreichende Tranzparenz (Zugang zu allen persönlichen Gesundheits- / Krankendaten und Informationen was genau wird zu welchen Kosten der aktuellen Behandlung abgerechnet) sehr viel effektiver fördern.
 

Kostenexplosion im Gesundheitswesen?
Das Schlagwort "Kostenexplosion" beherrschte häufig die Medienlandschaft nicht nur der Ära Kohl. Sicher sind die Kosten im Gesundheitswesen von Jahr zu Jahr gestiegen, aber eben wie die Preise und Wirtschaftsleistungen auch. So hat sich die Relation der Leistungsausgaben der GKV zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 5,7 % im Jahre 1975 gerade einmal auf 6 % im Jahre 1998 erhöht. Das widerlegt eindeutig die Behauptungen einer Kostenexplosion. Die Probleme bei der Finanzierung im Gesundheitswesen haben ihre Ursache primär in einer Schwäche bei den Einnahmen, insbesondere durch die hinter den BIP-Steigerungen zurückgefallene Lohnentwicklung wie in "Sozialabbau unter Kohl" erläutert.
Auch die - gerne und vielfach wiederholten, scheinbar plausibelen - Behauptungen, dass sowohl die zunehmende Alterung der Gesellschaft als auch der medizinisch-technische Fortschritt die Kosten im Gesundheitswesen enorm in die Höhe treiben werden, halten einer kritischen Prüfung nicht stand. Siehe auch hierzu
"
Kostenexplosion im Gesundheitswesen? DIW 7/03"   "Droht eine Kostenlawine im Gesundheitswesen? Bosbach/Bingler Soziale Sicherheit1/2008"    

These, die Vollkasko-Mentalität der Versicherten verführe zu einem maximalen Konsum medizinischer Leistungen.
Aus der beklagten Anspruchsmentalität der GKV-Versicherten und der damit angeblich verursachten Ausgabensteigerung wird nicht selten die Forderung abgeleitet, die GKV solle sich auf eine Grundsicherung zurückziehen. Im Rahmen einer höheren Eigenverantwortung sollte der Rest privat versichert werden. Dabei werden der PKV viele Vorteile zugeschrieben. Ein modernes Märchen, meinen die Autoren und verweisen auf empirische Tatsachen. Zwischen 1983 und 1994 sei bei GKV-Versicherten die Zahl der Arztkontakte von 2,81 auf 3,68, bei den PKV-Versicherten dagegen von 2,83 auf 4,51 Mitglied und Jahr gestiegen. Während im gleichen Zeitraum bei den GKV-Versicherten die Zahl der Klinikaufenthalte von 1,36 auf 1,34 Prozent gesunken sei, registrierten die Statistiker bei PKV-Mitgliedern eine Zunahme von 1,66 auf 1,79 je Mitglied.
 
 
Quelle Hintergrundinformationen


 Zweifellos sind effektive Kostenkontrollen und regelnde Eingriffe zur Kostenbegrenzung notwendig
Die Ursachen für die steigenden Beitragssätze liegen weniger auf der Ausgaben- als vielmehr auf der Einnahmeseite. Die problematische Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversicherung wurde durch die Politik der letzten Jahrzehnte - steigende Arbeitslosigkeit, stagnierendes Lohnniveau und zunehmende Prekarisierung der Beschäftigung mit Niedriglöhnen - mitverursacht.
Darüber hinaus hat die gesetzliche Krankenversicherung auch ein Ausgabenproblem. Das deutsche Gesundheitssystem ist von einer Reihe von Ineffizienzen, Versorgungsdefiziten (Über-, Unter- und Fehlversorgung) und überholten Organisationsstrukturen bis hin zu Intransparenz und massiven Betrugsfällen durchzogen. Es ist daher auch erforderlich, mehr Qualitätswettbewerb unter den Leistungserbringern auch gegen den Widerstand der mächtigen Interessenorganisationen der Ärztinnen, Apothekerinnen oder der Pharmaindustrie durchzusetzen, um die Versorgungsqualität zu erhöhen und die Kosten zu reduzieren. *
Hintergrundinformationen Gesundheitspolitik  KAB
Bisher positiv herausragende Ergebnisse sind deutliche Kostenreduzierungen bei Arzneimitteln und reduzierten Krankenhauskosten.

* Hintergrundinformationen zur Gesundheitspolitik in Deutschland, 37 Seiten, Sabrina Schmalz Kathol.ArbeitnehmerBeweg., 9.3.2006.  Inhalt: Einleitung (kosten-einn-ausg-behandl,qualität), Bürgerversicherung6, Kopfpauschale10, System und Zukunft (Bürgerversicherung detaill.)11, Arbeitgeberbelastung18, Grundsicherung19, Arme sterben früher19, Europäischer Vergleich21, Gesundheitspolitik in EU26, Dänemark28, Frankreich30, Kostenexplosion?32, Transparency International-Korruption und Betrug33 (33 bedeutet Kap.beginnt auf Seite33)

 

 
Auflistung der Reformen - Die wesentlichen Leistungskürzungen  
In den meisten Fällen wäre der Begriff “Finanzierungsreform” treffender als die Bezeichnung “Gesundheitsreform”. Im Folgenden werden die wichtigsten Veränderungen für Versicherte (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) erläutert.
 

1983  Haushaltsbegleitgesetz 1983  
•Die Zuzahlung von 1,50 DM pro Verordnung (Arznei- und Verbandmittel) wird erhöht auf 2,00 DM.
•Einführung einer Zuzahlungspflicht bei Krankenhausbehandlung in Höhe von 5 DM pro Tag für maximal 14 Tage je Kalenderjahr.
•Für die Kuren der Kranken- und Rentenversicherung wird eine Zuzahlung von 10 DM pro Tag eingeführt - für maximal 30 Tage im Kalenderjahr.
•Bagatell-Arzneimittel werden aus dem Leistungskatalog der GKV gestrichen (Arzneimittel gegen Erkältungskrankheiten, Reisekrankheit, Mund und Rachentherapeutika, Abführmittel).
Ergänzung
aus 
Meilensteine der Gesundheitspolitik siehe 1982 zum "Haushaltbegleitgesetz 1983"
Hier heisst es "müssen die Rentenversicherungsträger nicht in voller Höhe Beiträge zur Krankenversicherung für Rentner zahlen", das bedeutet: Erstmalig müssen Rentner/nnen ab 1983 Beiträge zur Krankenversicherung zahlen, die restlichen 50% trägt weiterhin die Rentenversicherung.

1984  Haushaltsbegleitgesetz 1984
•Stärkere Einbeziehung von Einmalzahlungen des ArbGeb (Weihnachtsgeld, zusätzliches Urlaubsgeld) in die Beitragspflicht.
•Einbeziehung des Kg in die Beitragspflicht zur Renten- und Arbeitslosenversicherung (der Beitrag wird hälftig vom Kranken und der Krankenkasse gezahlt).
•Kürzung der jährlichen Anpassung des Kg durch Aktualisierung (Anbindung an Entgeltentwicklung im Vorjahr).

 Quelle AOK Reformdatenbank

1989 Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen - Gesundheits-Reformgesetz (GRG)  
Mit dem Gesundheitsreformgesetz „GRG“ unter Norbert Blüm (CDU) wurde die gesetzliche Krankenversicherung aus dem 2. Buch der Reichsversicherungsordnung (RVO) ab 1. Januar 1989 in das fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) übernommen.
Einführung einer „Negativliste“ für als unwirtschaftlich beurteilte Medikamente. Darüberhinaus gibt es eine Vielzahl von Gebühren- und Zuzahlungserhöhungen:
•Halbierung des Kassenzuschusses für Brillengestelle auf einen Zuschussbetrag von 20 Mark
Zuzahlung jetzt auch bei Hilfsmitteln (beispielsweise Rollstuhl oder Pflegebett), die oberhalb eines Richtwertes liegen.
•Heilmitteln, für die kein Festbetrag festgelegt wurde, fällt eine Rezeptgebühr von vier Mark je Heilmittel an.
•Die Arzneimittelzuzahlung steigt von 2 auf 3 Mark pro Medikament ohne Festbetrag.
 (Bei Arzneimitteln, die zum Festbetrag angeboten werden, ist i.d.R. keine Zuzahlung mehr erforderlich).
•Ausschluss von umstrittenen und unwirtschaftlichen Heil- und Hilfsmitteln und Bagatellarzneimitteln (Erkältung etc.)
•Verdopplung der Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalt auf zehn Mark/Tag bis maximal 14 Tage im Jahr (ab 1991).
•Begrenzung der Kostenerstattung bei Zahnersatz von 60 auf 50 % (statt bisher 60 Prozent) Regelzuschuss (ab 1991).  
•Einführung eines Bonussystems bei Nachweis regelmäßiger Vorsorgeuntersuchungen beim Zahnarzt (Bonusheft).
•Einschränkung der kieferorthopädischen Behandlung, zudem 25 % Eigenanteil, wenn die Behandlung nicht beendet wurde.
•Begrenzung des Zuschusses für Badekuren (ambulante Kur) auf höchstens 15 Mark täglich (vorher: 25 Mark).
•Einführung der Härtefallregelung zur sozialen Abfederung der Zuzahlungen. Keine Zuzahlungen bei geringem Einkommen.
•Kürzung des Sterbegelds von 4.000 auf maximal 2.100 Mark. Sterbegeld entfällt für ab 1989 neu Versicherte.
•Fahrkosten wg stationärer Behandlung bzw. Rettungstransporte; Eigenbeteiligung von 5 auf 20 Mark erhöht.
•Erstmals Kostenerstattung einer häuslichen Pflegehilfe bei Pflegebedürftigkeit. Bei familiärer Pflege Wahlrecht auf 400 DM.
•Untersuchungen wie Krebsvorsorge oder Diabetes-Vorsorge werden in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen.
•Präventionsangebote (die nicht klar definiert werden) müssen von den Kassen als Satzungsleistungen angeboten werden.

1993 Gesundheitsstrukturgesetz - Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (GSG)  Auch bekannt als „Lahnstein-Kompromiss“ zwischen Seehofer (CSU) und Dreßler (SPD).
Der Krankenschein wird durch die Krankenversicherungskarte ersetzt. Ab 1997 freie Wahl der Krankenkasse ansonsten weitere Mehrkosten für alle Versicherten:
•Zuzahlung für alle Arzneimittel (auch mit Festbetrag): 3, 5 oder 7 DM bei Medikamentenpreis bis 30, 50 und über 50 DM.
•Ab 1994 Zuzahlung nach Packungsgröße. Indirekte Erhöhung, da nun jeweils 4,6, und 8 DM anfallen.
•Erhöhungen der Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalt und Kuren pro Tag auf 11 DM (Ost: 8 DM) für maximal 14 Tage. Ab Januar 1994: 12 DM und 9 DM (Ost).
•Kieferorthopädische Leistungen für Erwachsene, "medizinisch nicht notwendiger" Zahnersatz und aufwendige prothetische Versorgungsformen werden aus dem Leistungskatalog der GKV gestrichen.
•Keine Kostenübernahme von Schutzimpfungen für Fernreisen.
•Freiwillig versicherte Rentner zahlen den vollen KV-Beitragssatz auf Renten- und sonstige Einkommen (z.B. Mieteinnahmen).

1. April 1995 Pflegeversicherungsgesetz   (Volltext siehe AOK Reformdatenbank)
Einführung der Sozialen Pflegeversicherung, paritätisch finanziert von AN und AG, als eigenständiger Zweig der Sozialversicherung. Zur finanziellen Entlastung der Arbeitgeber (AG) wird der Buß- und Bettag  als Feiertag abgeschafft und zum Arbeitstag bundesweit (Sonderregelung in Sachsen).
20-prozentige Kürzung der Krankenkassenbeitragszahlung der Bundesanstalt für Arbeit für alle Arbeitslosen durch Absenkung der Bemessungsgrundlage auf 80 Prozent des zugrundeliegenden Arbeitsentgelts - jährlicher Einnahmeverlust der GKV von rund sechs Milliarden Mark.
Mehr unter
1995/96 Inkrafttreten des Pflege-Versicherungsgesetzes (PflegeVG, siehe dort Seite 23ff)  

1996: Beitragsentlastungsgesetz
Im Rahmen des "Programms für Wachstum und Beschäftigung" von 1996, des sogenannten Sparpakets, beschloss die Regierungskoalition unter Kohl das Beitragsentlastungsgesetz.
Zuschüsse zu Brillengestellen gänzlich abgeschafft (galt  nur bis 1998).
erhöhte Zuzahlungen für Arzneimittel
Das Krankentagegeld sinkt von 90% des Bruttoentgeldes auf nur mehr 80%.
Zahnersatzleistungen für Personen, nach dem 31.12.1978 geboren, werden (fast) ersatzlos gestrichen.
Die Eigenbeteiligung an Kuren steigt; diese werden durch den Abzug von Urlaubstagen “gegenfinanziert”.
Die Kassen wurden gesetzlich verpflichtet, ihre Beitragssätze zum 1. Januar 1997 um 0,4 Prozentpunkte zu senken.  

Siehe auch
Kritik der DAK am Beitragsentlastungsgesetz  

01. Jul 1997    2. GKV-Neuordnungsgesetz (2. NOG)
•Erhöhung der Zuzahlung bei Fahrkosten von 20 auf 25 Mark.Arzneimittelzuzahlung steigt auf 9, 11 bzw. 13 Mark.
•Krankenhauszuzahlung steigt pro Tag auf 17 (West) und 14 (Ost) Mark (bisher: zwölf/neun Mark).
•Zuzahlung bei Heilmitteln wird von zehn auf 15 Prozent erhöht.
•Mehr Wahlfreiheit durch neue Instrumente der Beitragsgestaltung wie Beitragsrückerstattung, Selbstbehalt...
•Für einige Hilfsmittel (z.B. Kompressionsstrümpfe, Einlagen, Bandagen) wird eine Zuzahlung von 20 Prozent eingeführt.
•Zuzahlungen sollen im Zweijahres-Rhythmus an die Entwicklung des Durchschnittslohn angepasst werden zum 1.7.1999.
•"Krankenhaus-Notopfer" von jeweils 20 Mark in den Jahren 1997 bis 1999 zur Finanzierung der Krankenhäuser.
•Erweiterung des außerordentlichen Kündigungsrechts für Mitglieder.
•Kostenübernahme zusätzlicher Untersuchung für Kinder zur Früherkennung körperlicher oder geistiger Gefährdung.
•Einführung des Kostenerstattungsprinzips bei kieferorthopädischer Behandlung von Jugendlichen.
•Ab 1. Januar 1998 Einführung des Kostenerstattungsprinzips mit Festzuschüssen bei Zahnersatz nach GOZ.
•Zahnärztliche Individualprophylaxe-Maßnahmen (Schmelzhärtung und Keimzahlsenkung, etc.) ab dem 18. Lebensjahr.
•(Zahn-)Ärzte und Krankenhäuser müssen die Kosten den Patienten schriftlich mitteilen.   

 

Quellen  
AK Sozialpolitik  Chronik GKV     Aktuelles auf Portal Sozialpolitik   
Meilensteine der Gesundheitspolitik
AOK Reformdatenbank
1995/96 Inkrafttreten des Pflege-Versicherungsgesetzes (PflegeVG)
Hintergrundinformationen Gesundheitspolitik KAB
Gesundheitsreform in Deutschland Wikipedia
 

 

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